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9 Tage in God's Own Country (Kerala)

 

Das nächste Ziel auf meiner Reise durch Indien war der Bundesstaat Kerala, welcher dank seiner wunderschönen Natur auch den Namen God’s own Country trägt. Nach meiner langen Reise von Gokarna über Udaipur/ Manipal und Kollam erreichte ich auch endlich den für seine wunderschönen Strände bekannten Urlaubsort Varkala. 

In meinem Hostel angekommen, bestellte ich mir erst einmal ein typisches keralisches Frühstück (Puttu). Es bestand aus ein paar kleinen Bananen und einer „Kuchenrolle“ aus Kokosflocken und Reismehl, welche erstaunlicher Weise ungesüßt - kommt in Indien selten vor - auf einem Bananenblatt serviert wurde und ein sehr trockenes und langweiliges Geschmackserlebnis bot. (In Kochi bekam ich in der folgenden Woche eine leckerere und weniger trockenere Variante mit Kokosmilch und Honig serviert.)

Den Nachmittag verbrachte ich zwischen vielen Tourist*innen und Inder*innen am Strand. Nach einer Weile musste ich feststellen, dass sich eine Traube Inder neben mir versammelt hatte, die ihre Handys auf mich gerichtet hatten, um mich zu fotografieren. Ich suchte mir also – etwas genervt mit den Augen rollend – einen neuen Platz zwischen mehr Tourist*innen und genoss dort die letzten Sonnenstrahlen und den Sonnenuntergang.

Jatayu
Jatayu

In meinem Zimmer lernte ich zwei alleinreisende Inderinnen kennen. Eine der beiden war mit dem Besitzer des Hostels befreundet, welcher mit uns am folgenden Tag zum Jatayu Earth‘s Centre (auch: Jatayu Nature Park oder Jatayu Rock) fuhr. Jatayu, der König der Geier, ist eine mythologische Figur aus dem inidschen Nationalepos Ramayana. Eine nach ihm angefertigte Skulptur befindet sich auf 350 Metern Höhe überm Meeresspiegel im Jatayu Nature Park und gilt als größte Vogelskulptur der Welt. (Sie ist 61 m lang, 46 m breit, 21 m hoch und erreicht im Bodenbereich 1,400 m2. Quelle: Wikipedia)

Neben der Skulptur befindet sich auch der von einer Glasplatte verdeckte Fußabdruck des Hindu Gottes Ram.

Mein nächstes Ziel war Alleppey (auch: Alappuzha), der Ort in Kerala, welcher vor allem für seine wunderschönen Backwaters bekannt ist. Ich hatte mir über Couchsurfing einen Host gesucht, der mich mit seinem Motorrad vom Bahnhof abholte. Obwohl ich die ganze Fahrt das Gefühl hatte, mit meinem schweren Backpacker nach hinten über zu kippen, schafften wir es sicher an unser Ziel: Ein eher unscheinbares Hostel an einer Straße ohne Restaurants oder Cafés in der Nähe, in welchem mein Host regelmäßig Couchsurfer für Lau einquartierte – mit der Bedingung, anschließend eine gute Bewertung für das Hostel zu schreiben. Ich war in einer kleinen Kammer mit zwei Matratzen und einem eigenen kleinen Bad untergebracht und teilte mir diese mit einer ende-60-jährigen britischen Couchsurferin. Sie erzählte mir, dass sie in Indien lebe und aktuell mit ihrem Motorrad herum reise. 

Kurz nach meiner Ankunft im Hostel trafen noch drei weitere Couchsurferinnen – zwei aus Deutschland und eine aus Österreich – ein. Sie waren gerade mit dem Abitur fertig und hatten sich in Südindien in einem Ashram kennen gelernt. Da auch sie am kommenden Tag eine Tour durch die Backwaters machen wollten, entschieden wir uns, alle zusammen ein Hausboot zu mieten. Jay (unser Host) organisierte uns für insgesamt 10.000 Rupien (126€) ein Hausboot, auf welchem wir den gesamten Nachmittag vom Kapitän durch die sagenhaften Backwaters gefahren wurden und inklusive des Frühstücks am nächsten Morgen drei Mahlzeiten vom Küchenpersonal serviert bekamen. Anstatt uns im Laufe des Nachmittags von der überteuerten Ayurveda Massage am Flussufer ködern zu lassen, begannen wir uns an Deck gegenseitig den Rücken zu massieren – wir erhielten etwas Kokosöl aus der Bootsküche – und wurden, wie nicht anders zu erwarten, zu einer Tagesattraktion für Vorbeifahrende. Über Nacht hielten wir an einer kleinen Landzunge, von wo wir am nächsten Tag – wir übernachteten in den zwei Schlafzimmern des Hausboots – wieder zurück zum Anleger fuhren. 

Während die anderen drei für eine Kanu Tour durch die Backwaters noch eine Nacht in Alleppey blieben, stieg ich nachmittags in einen öffentlichen Bus nach Thekkady (auch: Kumily). Der Bus raste mit einer für meine Nerven etwas zu hohen Geschwindigkeit die Bergstraßen entlang und überholte auch in Kurven und bei Gegenverkehr – natürlich nicht, ohne dabei ständig laut zu hupen. Nach knapp fünf Stunden kam ich endlich in Thekkady an und ließ mich und meinen schweren Backpacker in einer Rikscha zu meinem schnuckeligen Homestay bringen. Der Besitzer konnte zwar nur brüchig englisch sprechen und verstehen, war jedoch unglaublich lieb und hilfsbereit.

Nachdem am nächsten Tag meine Begleitung aus Karnataka - wir hatten uns in Gokarna im Hostel kennen gelernt - angereist war, machten wir uns nachmittags gemeinsam auf den Weg zum „Periyar Tiger Reserve“. Da wir etwas spät los gekommen waren, hatten wir leider die letzten Nachmittagsangebote verpasst und entschieden uns, auf eigene Faust durch das Reservat zu laufen. Nachdem wir den überteuerten Ausländerpreis von 500 Rupien gezahlt hatten, mussten wir feststellen, dass wir ohne Guide nur auf der asphaltierten Straße laufen durften. Direkt hinterm Eingang fiel uns allerdings ein Schuppen mit Leih-Fahrrädern ins Auge. Da man mit Fahrrädern auf einer asphaltierten Straße wesentlich mehr Spaß haben kann, als zu Fuß, entschieden wir uns, uns welche auszuleihen. Nachdem wir endlich zwei Fahrräder mit halbwegs funktionierenden und nicht schleifenden Bremsen gefunden hatten, machten wir uns also auf den Weg zum Periyar Lake, einem von den Briten künstlich angelegten See am anderen Ende des Reservats.

Wir starteten unsere Tour mit einem offenen Safari Jeep, mit welchem wir am frühen morgen an unserem Homestay abgeholt wurden. Auf dem Weg zum Idukki Wildlife Sanctuary passierten wir wunderschöne Teeplantagen, von denen ich einige schon während meiner Busfahrt nach Thekkady gesehen hatte. Wir machten an einem Bergfluss halt, an welchem wir von unserem Guide große giftige Spinnen in riesigen Spinnennetzen präsentiert bekamen. Nach einer kurzen Fotosession und einem frischen Tee an einem kleinen local-Stand ging es weiter und wir landeten auf einer sandigen „Straße“, die eher einem ausgetrockneten Flussbett ähnelte. Eine gute Stunde fuhren wir durch das Reservat, bevor es wieder zurück Richtung Thekkady ging. Da wir außer Kühe keine Tiere vors Auge bekommen hatten, hielten wir zum Trost auf dem Rückweg an einem Wanderweg und bekamen somit die Möglichkeit, die Natur um uns herum noch einmal in vollen Zügen zu genießen. 

Zurück in Thekkady machten wir uns im Periyar Tiger Reservat noch einmal auf den Weg zum Periyar See, um an der etwas zu touristischen – dies stellten wir erst fest, nachdem wir die Tickets gekauft hatten – Bootstour teilzunehmen. Ausgerüstet mit albernen orangenen Schwimmwesten sahen wir vom Boot aus neben einigen Rentiere jedoch auch Wasserbüffel, Wüstenleguane, verschiedene Vogelarten und sogar ein totes Yack am Seeufer liegen.

Am nächsten Tag machten wir uns nach dem Check-out und einem leckeren Mittagessen mit dem Bus auf Richtung Kochi. Die Busfahrt dauerte eine halbe Ewigkeit und wir erreichten unsere Unterkunft als es bereits stockduster war. Wir schafften es gerade noch so, etwas zum Abendessen zu finden, bevor die Lokale geschlossen wurden, und fielen anschließend todmüde ins Bett. Bevor mein Flug in der folgenden Nacht zurück nach Pune ging, erkundeten wir tagsüber die Straßen und die kolonialen Gebäude von Fort Kochi. Wir besichteten den kleinen Hafen mit seinen berühmten chinesischen Fischernetzen und bewunderten die kreative Streetart an den Mauern und Hauswänden. Den letzten Sonnenuntergang am Meer genossen wir gemeinsam an der hübschen Uferpromenade von Fort Kochi und machten uns anschließend auf den Weg zum Flughafen.

Wie an den meisten Orten im kommunistisch geprägten Kerala trafen wir auch hier an jeder zweiten Ecke auf ein Bild von Che Guevara, Hammer-und-Sichel-Flaggen und auf Plakate von indischen kommunistischen Parteien, wie der CPI(M) – Communist Party of India (Marxist) – und anderen lokalen kommunistischen Vereinigungen. Die kommunistische Politik in Kerala hat unterschiedliche Auswirkungen - sowohl positive als auch negative. Beispielsweise ist Kerala aufgrund seines mangelnden Wirtschaftswachstums zwar einer der ärmsten Bundesstaaten Indiens, er weist jedoch mit 93,9 Prozent (Männer: 96%; Frauen: 92%) von allen Bundesstaten die höchste Alphabetisierungsrate auf. In Indien liegt der Gesamtdurchschnitt dagegen bei nur 74 Prozent (Stand Volkszählung 2011).