· 

Mein Start in die Semesterferien – 2 Tage in Arambol (Nord-Goa)

Nach der nervenzermürbenden Endphase meines Auslandssemester – ich musste in der letzten Woche noch diverse Prüfungsleistungen fertig stellen – konnte ich endlich meiner Reise durch Indien entgegen blicken.

Sonntag Abend ging mein sleeper bus  (Nachtbus mit Betten) Richtung Goa. Da ich bereits über das Wochenende von Diwali nach Goa gefahren war, wusste ich, was mich erwartete. Ich verpasste allerdings beinahe den Bus, da mein Rikschafahrer die falsche Haltestelle angesteuert hatte. Glücklicherweise war meine indische Freundin uns in weiser Vorahnung mit ihrem Scooter hinterhergefahren und konnte den Rikschafahrer somit in die richtige Richtung steuern. Während mir nun das Reiseunternehmen hinterher telefonierte, rannten wir – ich bepackt mit meinem ca. 18 kg schweren Backpacker und meine Freundin mit meinem ebenfalls viel zu schweren Handgepäck – auf den Bus zu, der glücklicherweise auf mich wartete. Nach einigen weiteren Stops lag nun eine entspannte Nacht vor mir und ich ließ mich Dank indischer Straßen wie ein Baby, bloß etwas grober, in den Schlaf schaukeln.

Das erste Ziel meiner Reise war Arambol, der bekannteste Ort im Norden von Goa. Arambol ist für das Bild von Goa verantwortlich, welches im Westen über den gesamten Bundesstaat vorherrscht. Auf Elektro-und Goa-Partys stößt man nämlich nur im Norden Goas, während der Süden viel schönere und vor allem ruhigere Strände zu bieten hat. Auch wenn ich mit der touristischen Aryuveda-Yoga-Ashram-Szene wenig anfangen kann und mich selbst nicht zu den „Neo-Hippies“ zählen würde, die man mehrheitlich in Arambol antrifft, wollte ich mir ein Bild von diesem Ort machen. 

Ich hatte mir für zwei Nächte eine kleine Strandhütte am sweet lake beach gebucht, da dieser Strand als ruhiger, schöner und entspannter als der Party Strand Arambol beach gilt. Neben meiner Strandhütte befand sich ein Süßwassersee und ein kleiner Dschungel. Der Grund, weshalb dieser Strand weniger bevölkert war, als die anderen Strände, wurde mir allerdings zum Verhängnis, als ich aus dem Taxi stieg und feststellen musste, dass nun ein längerer Fußmarsch anstand. Während ich meine zwei Backpacker, die zusammen um die 23kg wogen, an Hostels, Restaurants und Ständen mit kommerziellen „Hippie“-Artikeln vorbei schleppte, wurde ich alle 10 Meter angequatscht und gefragt, ob ich ein Zimmer, Kleidung oder eine Massage brauche. Nach 15 Minuten erreichte ich endlich das Ende der Hippie-Kommerz-Gasse und schaute auf eine Gruppe von Felsen, die ich nun zu überqueren hatte. Auf halber Strecke machte ich eine Pause, und ließ die kurzzeitige Ruhe und das Meeresrauschen zwischen den Felsen auf mich wirken, bevor ich den Rest der Strecke durchs Meer watete. 

Ich wunderte mich etwas darüber, dass niemand mir anbot, für ein paar Rupien einen meiner Rucksäcke zu tragen – die Erfolgschancen wären definitiv größer gewesen. Auch die wenigen Touristen, die zu dieser Zeit schon unterwegs zum Strand waren, würdigten mich keines Blickes. Im Laufe des Tages stellte ich fest, dass viele der aus Russland stammenden Touristen, Aussteiger und Rentner, die sich in Goa niedergelassen haben, keinen Brocken englisch sprechen und den Kontakt zu anderen Touristen, bzw. Ausländern und Indern meiden. Aber dazu später mehr. 

Nachdem ich meine Hütte bezogen hatte, machte ich es mir auf einer sonnengeschützten Strandliege bequem, die mich für den gesamten Tag 50 Rupien (ca. 60 Cent) kostete, und kam direkt mit einer 19-jährigen sympathischen Strandverkäuferin (Laxmi) ins Gespräch. Im Vergleich zu den anderen Menschen um mich herum, konnte sie fließend Englisch sprechen und ich freute ich mich über die Gesellschaft – auch wenn mir bewusst war, dass es ihr vor allem ums Geschäft ging. Nachdem ich ihr von meinem Studium in Pune erzählt hatte, wendete sich unser Verhältnis zueinander und sie begann mir von ihrem Leben zu erzählen. Ich erfuhr, dass sie aus dem Nachbarstaat Karnataka kommt und bereits seit ihrer Kindheit in der Urlaubssaison an diesem Strand arbeitet, während ihre Familie in einem der vielen Verkaufsstände in Arambol arbeitet. Sie erzähle mir von ihren Taktiken, wie sie auf ihre Klient*innen am Strand zugeht, und dass sie schon als Kind am Strand Russisch gelernt hat, um sich mit ihren Klient*innen verständigen zu können. Nachdem ich ihr am Ende ein Strandtuch, zwei Armbänder und ein Fußkettchen abgekauft hatte, machte ich mich in der Strandbar an meine letzte Prüfungsleistung, die ich am Wochenende nicht mehr fertig bekommen hatte.

Später traf ich Laxmi und zwei ihrer Kolleginnen bei meiner Strohhütte, wo sie sich vor der Polizei versteckten. Sie erzählten mir, dass sie nicht an diesem Strand arbeiten dürfen, da sie aus einem anderen Bundesstaat kommen und die Polizei ihnen ihren Schmuck und ihre Strandtücher wegnimmt, wenn sie sie erwischt.

Für den Abend hatte ich mich mit einem Local  von Couchsurfing verabredet, der mich zur Feuershow einer seiner russischen Freund*innen einlud. Als ich im Dunkeln über die Felsen kletterte und mich Richtung Arambol aufmachte, überlegte ich, ob mein Vorhaben vielleicht ein bisschen „naiv“ war – ich hatte von vielen gehört, dass ich in Goa mehr aufpassen müsste, als in Pune. Da ich mich jedoch sicher fühlte, entschied ich mich die gesamte Strecke, welche ich am Vormittag schon mit meinem Backpacker zurück gelegt hatte, in den Ort zu laufen. Wieder wurde ich alle 10 Meter angequatscht und gefragt, ob ich eine Massage brauche, etwas kaufen, oder vielleicht in einem Restaurant platz nehmen möchte – die typische Touristen-Anlock-Masche eben, welche meiner Meinung eher abschreckend als anziehend wirkt.

Am Arambol beach angekommen erwartete mich ein Meer aus Kerzen, die auf gedeckten Tischen standen. Es sah traumhaft schön und unglaublich romantisch aus. Da ich die meiste Zeit kein Netz hatte, war ich erleichtert, als Shawn (der Couchsurfer, mit dem ich verabredet war) mich erblickte. (Er hatte seine um die 10-15 Jahre ältere russische Freundin dabei, die mich scheinbar sofort als potentielle Konkurrenz einordnete und sich die nächsten zwei Stunden weigerte, ein Wort mit mir zu sprechen.) Wir gesellten uns zu einigen anderen russischen Aussteiger*innen, welche die Feuershow mit Gitarre und Gesang begleiteten – „Knocking on Heaven’s Door“ auf russisch in Dauerschleife. Ich ließ die Feuershow, die Musik und die herumtobenden Kinder auf mich wirken und begann nun, mir bei meinen Beobachtungen Gedanken über die paradoxen Parallelwelten zu machen, zwischen denen ich mich hier befand. Auf der einen Seite die „Neo-Hippies“, welche mit dem Glauben, in Indien ihre wahre Spiritualität zu entdecken in Arambol abhängen, jedoch völlig unter sich blieben. Auf der anderen Seite die indischen Strandverkäufer*innen und Locals, deren Spiritualität in ihr Leben eingebunden ist, ohne dass sie daraus ein großes Theater machen, oder andere in stundenlange philosophische Gespräche über Spiritualität und ihren Weg dahin verwickeln würden. Selbst die Kinder um mich herum spielten nebeneinander, aber nicht miteinander. Während das ca. 6-jährige Kind der russischen Gitarristin – geschmückt mit einem Rasta-Irokesen – rund um die Uhr die Aufmerksamkeit der Erwachsenen forderte, spielten und tanzten direkt neben ihnen die Kinder der Strandverkäufer*innen. Es kam dabei zu keinerlei Interaktion, was mich verwunderte und natürlich auch enttäuschte.

Nach der Feuershow zogen wir weiter in eine Strandbar mit persischer Live Music und nun begann auch die russische Freundin von Shawn mit mir zu reden - sie hatte mich scheinbar doch als ungefährlich eingeschätzt.

Als ich auf dem Rückweg alleine durch die dunkeln Gassen zurück lief, holte ich eine junge Frau aus den Niederlanden (Marieke) ein, die für ein Massage Training nach Goa gekommen war. Nachdem ich sie bei ihrem Hostel, welches kurz vor den Klippen zu meinem Strand lag, abgesetzt hatte, verabredeten wir uns für den kommenden Abend in der selben Strandbar.

In meiner Strandhütte angekommen ärgerte ich mich, dass ich mein Moskitonetz in Pune gelassen hatte. Der Süßwassersee hatte mir bezüglich der Mücken schon beim Buchen zu denken gegeben, aber ich war davon ausgegangen, ein Moskitonetz von der Unterkunft gestellt zu bekommen. Fehlanzeige: Als ich meinen Vermieter danach fragte, bekam ich zur Antwort, dass ich ihn rufen könne, falls ich in der Nacht Probleme mit den Moskitos haben sollte – ein echter Schenkelklopfer. Da zog ich dann doch lieber die Moskitos und mein DEET-Spray vor. 

Am nächsten Morgen machte ich mich auf die Suche nach einem Bankautomaten. Von Pune war ich es gewohnt, jeder Zeit Geld abheben zu können und hatte somit auch verdrängt, dass meine Schwester mir erzählt hatte, wie oft die Bankautomaten in Goa tagelang nicht funktionieren. Ich erfuhr von einem russischen Touristen,  – der zwischendurch ständig zu russisch switchte, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass ich auch russisch verstehen müsste – dass der ATM in Arambol nicht funktionierte und ich in den Nachbarort Mandrem fahren müsste, um Geld abzuheben. Nun organisierte ich mir für meine letzten paar 100 Rupien ein Scooter Taxi. In Mandrem waren jedoch auch alle ATMs defekt und wir fuhren ohne Erfolg zurück. Als Entschädigung hielt mein Fahrer an einem Straßenstand und spendierte mir einen Zuckerrohrsaft.

 

Mein Mittagessen konnte ich - Gott sei Dank - gegen eine Steuer mit Kreditkarte bezahlen (dies ist in Arambol jedoch nur in wenigen Restaurants möglich). Ich lernte eine Frau aus Österreich kennen, die mir von ihrem Ashram-Aufenthalt in Delhi und diversen Gurus und Babas erzählte. Sie war aus Delhi nach Goa geflüchtet, um sich von dem Smog und dem Großstadtstress zu erholen. Ich fragte mich, wieso man ausgerechnet nach Delhi fliegt, um dort in einen Ashram zu gehen, wo Indien so viel schönere und entspanntere Orte zu bieten hat. Und dass man zur Erholung ausgerechnet nach Arambol kommt, nur um wieder unter seinesgleichen zu sein, anstatt sich zum Meditieren einen ruhigeren Ort in der Natur zu suchen, war für mich noch absurder. Ich sah mich in meiner Annahme bestätigt, dass es den meisten Touristen, die für ihre spirituellen Selbstfindung nach Indien kommen, nicht darum geht ihre Komfortzone zu verlassen, sondern vielmehr darum, aus ihrer Spiritualität einen Trend zu machen, der einen indischen Touch haben muss, um originell zu wirken.

 

Abends in der Strandbar genoss ich jedoch die Atmosphäre und begann mich bei den Klängen eines Sufi-Live-Musikers endlich zu entspannen. Als ich mich todmüde auf den Kissen am Boden ausstreckte, holte Marieke ihre neu erworbene Massageölflasche aus ihrer Strandtasche und ich bekam eine geniale Beinmassage.